Turnvater Jahn by Horst Bosetzky

Turnvater Jahn by Horst Bosetzky

Autor:Horst Bosetzky [Bosetzky, Horst]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-11-07T05:00:00+00:00


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Ein Mythos wird geboren

1810 – 1812

In der ersten Hälfte des Jahres 1810 geschah in Berlin wenig Aufregendes. Die Zeitungen berichteten über Geschehnisse wie die Berufung des Architekten Karl Friedrich Schinkel zum Geheimen Oberbau-Assessor oder die Einführung von Legitimationszeichen für Polizei-Offizianten, die bei den unteren Dienstgraden aus Kupfer, bei den Kommissaren aus Silber gefertigt waren.

Wilhelm von Humboldt, zuständig für den öffentlichen Unterricht in Preußen, ließ sich in seiner Meinung nicht beirren und hielt Friedrich Ludwig Jahn weiterhin für einen hervorragenden Pädagogen. So zögerte er nicht, ihn nach seinem Scheitern vor dem Schleiermacher’schen Prüfungsausschuss dem Königlichen Seminar für gelehrte Schulen zuzuweisen, das dem Gymnasium zum Grauen Kloster angeschlossen war.

Jahn tat sich schwer, die Volten des Schicksals zu verstehen. Er war nun wieder an dem Ort angelangt, den er vor fast fünfzehn Jahren als vermeintlicher Selbstmörder Hals über Kopf verlassen hatte. Als Schulamtskandidat sollte er zum Lehrer ausgebildet werden, hatte aber auch schon zu unterrichten, um praktische Erfahrungen zu sammeln. Wöchentlich zehn Stunden gab er in verschiedenen Fächern: Deutsch in der Quarta, Geschichte in der Sexta und Mathematik für die Unterstufe in der Quinta. Dazu kam die sogenannte Deklamationslehre, in der er den Schülern die Kunst des Sprechens vermitteln sollte.

Direktor der Gymnasiums war zu dieser Zeit Johann Joachim Bellermann, der zuvor als Professor für Kirchengeschichte und theologische Literatur an der Universität Dorpat im Gouvernement Estland gewirkt hatte und nach Berlin gekommen war, um seinen Teil zum bevorstehenden Kampf gegen das bedrückende napoleonische Joch zu leisten. Kein Wunder, dass Jahn und er sich ausgezeichnet verstanden und Jahn deshalb die älteren Lehrer, die sein Auftreten und seine Methoden mit Misstrauen verfolgten, nicht zu fürchten hatte.

Jahn war in seinem Element. Er fühlte sich als der geborene Lehrer und genoss es, junge Menschen nach seinen Idealen zu formen. Ihr Körper sollte kraftvoll sein, ihr Wissen umfassend und ihre Gesinnung patriotisch. Bald gab es Schüler, insbesondere Ernst Eiselen und Eduard Dürre, die ihn regelrecht verehrten. Dürre sollte später über Jahn schreiben:

Er hatte etwas von der liebevollen Haltung eines älteren Bruders gegen seine jüngeren Geschwister und wurde um so schneller unter den Schülern bekannt, als sie im direkten Widerspruch mit dem zum Teil unbarmherzigen, im Allgemeinen immer pedantischen Tone der damaligen Gymnasiallehrer stand.

Sprach Jahn im Fach Geschichte über den Kampf der Germanen gegen die Römer und feierte er den Sieg von Hermann dem Cherusker, dann waren seine Schüler begeistert. Las er ihnen im Deutschunterricht Johann Peter Hebels Alemannische Gedichte vor, tat er dies mit so viel schauspielerischer Begabung, dass sich seine Jungen köstlich amüsierten.

Bei Jahn war es immer unterhaltsam. Man konnte Sätze von ihm erwarten, die das Lehrerkollegium in helle Aufregung versetzten. Als er einmal einen Religionslehrer zu vertreten hatte, donnerte er sofort los: »Das Gerede von einer Welt, die angeblich immer schlimmer wird, ist ein Gewäsch alter Weiber. Die ganze Heilige Schrift will einen Fortschritt der Menschheit.«

Den meisten Spaß hatten diejenigen seiner Schüler, die jeden Sonnabend und auch jeden Mittwoch, wenn am Nachmittag schulfrei war, mit ihm durch Wald und Flur zogen, an starken Ästen Turnübungen machten, schwimmen lernten und sich an Geländespielen erfreuten.



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